Der Flörsheimer Verlobte Tag
Die Pest in Flörsheim
Für Flörsheim ist der 16. Juni als der Beginn der Krankheit im Kirchenbuch
vermerkt. An diesen Tag starben 4 Kinder des Johann Peter Schuhmacher.
Die Sterbeziffern für die folgenden Monate des Jahres 1666 hat Hans-Jürgen
Wagner in einer Studie wie folgt aufgelistet:
Juni | 4 | ||||
Juli | 21 | ||||
August | 41 | ||||
September | 14 | ||||
Oktober | 37 | ||||
November | 21 | ||||
Dezember | 25 | ||||
Januar | 7 | ||||
Der Historiker muss gestehen, dass wir außer den Totenlisten des Kirchenbuchs
und einer Eintragung des damaligen Pfarrers Laurentius Münch keine direkten
Berichte aus der Pestzeit über den "Verlobten Tag" kennen. Die in Latein verfasste
Eintragung des Pfarrers lautet in deutscher Übersetzung:
"Im Jahre 1666, am 28. Juli, ist von der Gemeinde dieses Ortes ein Verlobter Tag
wegen der sich verschlimmernden Pest versprochen worden zu Ehren der
Hl. Sebastian und Rochus, auf dass dieser Tag immer und in jedem Jahr der Zeit-
läufe wie ein heiliger Feiertag gefeiert werde und eine Prozession wie am Fron-
leichnamsfest soll mit brennenden Kerzen stattfinden, was die Gemeinde nach den
Regeln der Kirche jährlich begehen wird.
Als höchstes Sakrament wurde das Dankfest von der heiligen Dreifaltigkeit
begangen: Das Evangelium von den zehn Aussätzigen wird gelesen wie am
13. Sonntag nach Pfingsten."
Alles was darüber hinaus überliefert ist, haben wir nur aus indirekten Quellen
mündlicher Überlieferung. Der ausführlichste Bericht gibt der von 1727 bis 1773 in
Flörsheim tätig gewesene Pfarrer Gerhard Lamberti (in Auszügen):
"Die grimmige Seuche begann am 16. Juni zu wüten, wie bei den in diesem Jahr
aufgeschriebenen Toten eingesehen werden kann, im Haus eines gewissen
Schneiders, der irgendwoher aus einem verseuchten Nachbarort mitgebrachte
Kleidungsstücke durch Kauf oder wahrscheinlicher geschenkt übernahm und sie
seinen Kindern anpasste, von denen vier an einem Tag gestorben sind; so hat es
mir ein alter Mann erzählt.
Am Anfang wurden die Toten tagsüber begraben, als die Seuche sich verschlimmerte
auch nachts, damit nicht Unruhe und Angst sich in der Bevölkerung und der Nach-
barschaft vergrößerten. Viele sind deshalb begraben worden ohne Wissen der noch
Lebenden, so daß, wenn diese fragten "Wo ist denn der oder der", die Antwort kam:
"Der liegt schon seit einigen Tagen auf dem Friedhof."
Die Einwohner sind in solche Bedrängnis gekommen, dass abend ein Nachbar und
auch Verwandter dem andern noch gute Gesundheit wünschte, dass morgens aber
einer an das Fenster des anderen klopfte und fragte: "Vater oder Mutter, Bruder
oder Schwester, lebt noch jemand?" und einige wurden abends, andere morgens tot
aufgefunden in Häusern, deren Eingänge verschlossen waren, und alle Bewohner
waren tot; nicht nur Menschen, sondern sonderbarerweise auch Hunde, Katzen,
Hühner etc. starben in den von der Seuche erfaßten Häusern.
Die von den Pest Befallenen litten schrecklichen Durst, so daß sie klagend von
Vorübergehenden nichts als Wasser erbaten und von barmherzigen Leuten mit
Hilfe hingestellter Eimer erquickt wurden.
In dieser Not gab die ganze Gemeinde das Versprechen für sich und ihre Nach-
kommen, sie wolle den erwähnten Verlobten Tag feierlichst begehen, solange in
Flörsheim ein Stein auf dem anderen stehen, weshalb die an den Ort der vier
Evangelien gehenden Eltern ihren Kindern zuriefen: "Ihr Kleinen, betet, bittet und
klagt zum Herrn, daß er wenigstens euch erhört; wenn usnere zurückgewiesen
werden." Und siehe da! Danach, so berichten alle älteren Leute, breitete sich die
Seuche nicht weiter aus und griff auch nicht auf den obern Teil der Stadt jenseits
der Kirche über, sündern wütete nur im unteren Teil."
Der Pfarrer Johannes Laurentius Münch (gest. 1713)
Pfarrer in Flörsheim von Mai 1665 bis Oktober 1674
Laurentius Münch wurde im Kölner Raum geboren und gehörte als Geistlicher
zum Liebfrauenstift in Mainz. Sein Titel: Canonicus.
Er übernahm zeitweise den Dienst eines Pfarrers in vakanten Pfarreien, die dem
Stift angehörten (z.B. Kriftel, Ockenheim, Lörzweiler).
In seine Amtszeit in Flörsheim fällt der Bau der Vorgängerkirche der heutigen
Gallkuskirche. "incipit pestis" (die Pest trat ein) und "cessat pestis" (die Pest
erlischt) sind die einzigen Worte, die Pfarrer Münch über die Pest geschrieben
hat.
Münch hatte sich gegen Verleumdungen vor dem Ortsgericht zu wehren, die seine
priesterliche Ehre angriffen. Seine "Pfarrkinder" bezeugten vor Gericht seine
Unschuld, der Verleumder zog seine Anschuldigungen zurück.
Von Pfarrer Münch stammt auch die erste Erwähnung des "Verlobten Tages":
"Am 28. Juli 1666 wurde von der Gemeinde dieses Fleckens ein 'Verlobter Tag'
anläßlich der wütenden Pest versprochen..."
1674 verläßt Münch Flörsheim. Alljährlich nahm er am "Verlobten Tag" teil.
1713 stirbt Münch im Liebfrauenstift in Mainz und wird dort begraben.
Auf den Spuren des Verlobten Tages durch Flörsheim
Auf dem Mainstein, der die Geschichte Flörsheims beschreibt, ist eine Prozession in der Flörsheimer Altstadt dargestellt - stellvertretend für die über 300-jährige Tradition des "Verlobten Tages". |
|||
Schräg gegenüber vom Mainstein sehen wir das ehemalige Gasthaus "Zum Anker".
Der schön restaurierte Fachwerkbau ist auch heute noch an seinem Wirtshaus-
schild erkennbar. ZUr Pestzeit war er im Besitz des kurmainzer Rittmeisters
Pfannkuch, der in Flörsheim offenbar seinen Lebensabend verbringen wollte.
Der Rittmeister ist jedoch eines der im Kirchenbuch verzeichneten Pestopfer
geworden. Seine Witwe beantragte 1670 die Brennrechte für ihr Haur, eröffnete somit
die für Flörsheim nachweislich älteste Gastwirtschaft.
![]() |
|||
Gehen wir am Mainufer wenige Meter weiter, so stoßen wir auf die Pfarrer-Münch-
Straße. Sie führt vom Mainufer zur Kirche und ist nach Laurentius Münch benannt,
dem Pfarrer Flörsheims, der die Gemeinde während der Pestzeit betreute.
Die St. Gallus Kirche, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erbaut, bezieht sich
in ihrer Innenausstattung auch auf den "Verlobten Tag": Am Hauptaltar sind vier
lebensgroße Heiligenstatuen aufgestellt. Neben dem Kirchenpatron St. Gallus und
dem Patron der Kartäuser, dem Hl. Bruno, finden wir als weitere Heilige den
Hl. Sebastian (links außen) und den Hl. Rochus (rechts außen). Beide gelten in der
katholischen Kirche als Pestheilige und wir erinnern uns an die Kirchenbuch-
eintragung des Pfarrers Münch von 1666, der "Verlobte Tag" sei zu Ehren des
Heiligen Rochuns und Sebastian versprochen worden.
Folgen wir nun der Hauptstraße nach Westen, so kommen wir zum Haus Nr. 54
an der Ecke Walbergasse. Einer mündlichen Tradition zur Folge soll in diesem
Haus die Pest ausgebrochen sein. Wahrscheinlich beruht dies aber auf falschen
Schlüssen. Wir wissen durch die Kirchenbuch-Eintragung, daß die Pest im Hause
des Schneiders Schuhmacher ausgebrochen ist, und wir wissen, daß im 19. und
frühen 20. Jahrhundert in diesem Haus eine Familie Schuhmacher wohnte.
Der Gedankenschluß, daß schon im 17. Jahrhundert eine Familie gleichen Namens
hier ansässig war, ist historisch allerdings nicht zulässig.
Aus alten Gerichtsbüchern wissen wir nur, daß eine Familie Schuhmacher
während der Pestzeit in der Nähe des ehemaligen Untertores wohnte.
Nur wenige Meter weiter finden wir an der Ecke Hauptstraße / Untermainstraße das sogenannte "Pestkreuz". Es wurde 1712 von einer Familie Seßler in Erinnerung an das Pestjahr erichtet. Leider wissen wir nichts von der Biographie der Famlienangehörigen, wir wissen also nicht, was sie dazu brachte, das Kreuz errichten zu lassen. Der jetzige Standort ist jedoch nicht der ursprüngliche. Man kann davon ausgehen, daß das Kreuz an die alte Ortsmauer gelehnt war, bis man diese im 19. Jahr- hundert abriß, um dort eine Häuserzeile zu bauen. |
||||
Damit sind wir am Ende unseres Weges auf den Spuren des historischen
"Verlobten Tages". Über die Historie sollte man aber nicht die Bedeutung des
Tages als Stadtfeiertag für die Flörsheimer Bevölkerung vergessen, auch heute noch.
Quelle des gesamten Textes dieser Seite:
Das Neue Spiel vom Verlobten Tag, Programm 2006